Das Boot//Ernst Deutsch Theater//Premiere//12. März 2015
Es ist ja immer so eine Sache mit Vorlagen und den damit verbundenen Erwartungen. Folgendes Szenario kennt wohl jeder: Die Freude ist groß, denn endlich verfilmt die Filmindustrie das Lieblingsbuch. Die große Ernüchterung folgt zumeist mit Garantie. Die Handlung des Buches ist verkürzt, falsche Schwerpunkte gelegt, die Schauspieler nicht passend. Weitaus seltener ist dieser Fall: Man schaut einen Film und liest dann erst die Buchvorlage. Hierbei bremst die vorangegangen Visualisierung die Entfesselung der eigenen Phantasie, welche doch beim Lesen so charakteristisch ist. Ähnliche Szenarien gibt es natürlich auch beim Theater. Hier ist der Weg vom Buch zum Theaterstück ein Klassiker und so gelernt, dass sich Theaterbesucher selten über die Tatsache beschweren, dass die Geschichte der Buchvorlage für das Theaterstück gekürzt, umgeschrieben, verändert wurde. Es gehört fast schon zur Allgemeinbildung, dass eine Anpassung des Orginalwerkes für die Bühne künstlerisch und dramaturgisch notwendig ist.
Wozu all dieses Vorgeplänkel, fragt ihr euch? Dazu komme ich jetzt: Denn wie verhält es sich, wenn am Anfang ein literarischer Welterfolg steht, daraus einer der bedeutendsten deutschen Filme entsteht (sechs Oskar-Nominierungen) und das Stück dann auf die Bühne gebracht wird? Die Antwort auf diese Frage gibt es derzeit im Ernst Deutsch Theater. Das Boot von Autor Lothar-Günther Buchheim, der mit der Geschichte seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg verarbeitet, läuft noch bis zum 17. April am Friedrich-Schütter-Platz 1.
Ich bin völlig unvorbelastet in die Vorstellung gegangen, da ich weder das Buch noch den Film wirklich kannte. Diese Tatsache hat es mir wohl einfach gemacht, das Stück sehr neutral und dennoch gespannt zu verfolgen. Kurzer inhaltlicher Abriss: Das Theaterstück schildert analog zu Film und Buch die Erlebnisse der Besatzung eines deutschen U-Boots auf Feindfahrt während des U-Boot Krieges 1941.
Das Bühnenbild ist anschaulich, praktisch und ohne große Überraschungen, aber solide. Ein Ring in der Mitte der Bühne stellt die enge U-Boot Luke da, durch welche sich die Darsteller immer wieder mit rasantem Tempo und wagemutig durchschwingen. Natürlich konnte durch den offenen Bühnenaufbau nicht diese enge, bedrückende Raumsituation geschaffen werden, die den Film so charakteristisch machen. Clever bedient sich der Regisseur jedoch der Ton- und Videotechnik, um gerade die Tauchgänge („Wie weit kann das U-Boot tauchen, bevor es dem Druck nicht mehr standhält“) so spannend zu gestalten, dass alle Zuschauer den Atem anzuhalten scheinen und sich erst wieder entspannen, wenn der Mast des U-Boots sich wieder über der (als Video eingespielten) Wasseroberfläche befindet.
Der erste Akt hat seine Längen und symbolisiert somit die Monotonie des alltäglichen Besatzungsleben: Dieses bewegt sich im Spannungsfeld von Konkurrenz und Kameradschaft, Hoffnung und Angst, Fanatismus und Desillusionierung und der Suche nach Momenten der Normalität. Der zweite Akt verdient die Zuordnung der Adjektive dramatisch, beklemmend, SPANNEND. Ein großes Lob an die Regie: Hier hat Hartmut Uhlemann seine Grenze erkannt, in den besonders dramatischen Szenen am Schluss das ohnehin schon hohe Tempo noch einmal zu erhöhen. Diese Szenen lässt er in Slomo mit Toneinspielungen ablaufen. In den Szenen, in denen das Boot samt Besatzung beschädigt auf dem Grund aufliegt und nicht mehr auftauchen kann, bis nötige Reparaturen erledigt sind, die Luft aber immer knapper wird, traut sich kaum ein Zuschauer, mehr Luft in Anspruch zu nehmen als unbedingt nötig. Es wirkt in diesen Momenten beinahe so, als seien Ensemble und Zuschauer zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden.
Patrick Abozen, der zuletzt in der Bühnenfassung von „Ziemlich beste Freunde“ an der Seite von Hardy Krüger Junior in Hamburg (Hamburer Kammerspiele) große Erfolge feierte, spielt den Marinekorrespondenten Leutnant Werner, im Film verkörpert von Herbert Grönemeyer. Er agiert gleichzeitig auch als Erzähler, und ändert dafür ab und zu die Rollenperspektive. Trotz seiner disponierten Rolle sticht Abozen nur selten wirklich nachhaltig aus dem Ensemble heraus. Anders Erik Schäffler als Kapitänleutnant Kaleu, den man nie ganz durchschaut: Ist er linientreu oder einfach nur mit Herzen Kapitän mit Hang zum Zynismus, ist er leichtsinnig oder nur einfach souverän? Schäffler zumindest agiert auf der Bühne sehr souverän. Hervorzuheben ist allerdings vor allem die hervorragende Ensembleleistung. Jeder bekommt seine Moment und nutzt diese wirkungsvoll.
Eines ist noch erwähnenswert: Hartmut Uhlemann ließ es ich nicht nehmen, der Inszenierung ein paar Prisen „Bezug zur Realität“ beizumischen. So springt Patrick Abozen plötzlich ins Hier und Jetzt und erinnert daran, dass er als Halbäthiopier 1941 wohl kaum als Marinekorrespondent auf dem U-Boot gewesen wäre. Etwas gelungener finde ich den Bezug der beiden Schauspieler Andriy Kutsiy und Anton Faber, die russische und ukrainische Wurzeln haben und sich ihre beiden Länder nicht zur im Krieg gegeneinander befinden, sondern sie mit ihren 20 Jahren selbst wieder gezwungen werden könnten, als Soldaten zu dienen. Über die dramaturgische Notwendigkeit dieser Exkurse lässt sich diskutieren, ein Überraschungseffekt, der zum Nachdenken anregt, waren sie allemal.
„Kinoerfolg ‚Das Boot’ als Drama mit Tiefgang“, schrieb das Hamburger Abendblatt.
Ich halte es einfacher und schreibe: „Tolles Ensemble und hochspannende 130 Minuten! Absolut empfehlenswert!“