Die Blechtrommel//Thalia Theater//29. März 2015
Ich mag „Die Blechtrommel“ nicht, ich kann damit einfach nichts anfangen, auch wenn es Weltliteratur ist!
Es gibt Traumata, die man nie überwindet, es gibt Schatten, über die man nie springen wird und dann sind da noch die Zugänge, die einem ein Leben lang verwehrt bleiben. Letzteres ist bei mir bei „Die Blechtrommel“ von Günther Grass der Fall – zumindest werde ich das Gefühl mittlerweile nicht mehr los. Mehrfach habe ich versucht, das Buch zu lesen. Weit geschafft habe ich es nie. Den Film habe ich zweimal gesehen, einmal als Oberstufenschülerin, einmal als Studentin. Ich wusste nicht mehr viele Details. Woran ich mich aber erinnerte, war eine große Befremdlichkeit und Abscheu. ‚Nun gut, gebe ich meiner Beziehung zur Blechtrommel eine letzte Chance‘, dachte ich mir und schaute mir die neue, mit Spannung erwartete Inszenierung von Luk Perceval im Thalia Theater Hamburg an. Immerhin ist dies die erst dritte Blechtrommel-Inszenierung in Deutschland – wohl ebenfalls ein Zeichen dafür, wie viel Respekt auch Theatermacher vor dem Stoff haben.
Lange hab ich überlegt, ob ich die Besprechung der Blechtrommel auf buehhne.de überhaupt schreiben soll. Die Befürchtung war, dass ich meinem eigenen Anspruch an meine Texte nicht gerecht werden kann. Ich habe einfach ein Problem mit dem Stoff: Ich mag „Die Blechtrommel“ nicht, ich kann damit einfach nichts anfangen, auch wenn es Weltliteratur ist!
Normalerweise strömen, während ich mir eine Theaterinszenierung anschaue, zahlreiche Gedanken, Ideen oder Interpretationsansätze durch den Kopf. Doch während der Blechtrommel war mein Kopf leer, was mich nicht nur verstörte, sondern auch frustriert hat.
So, jetzt ist es raus und nun zu meiner Kritik der Inszenierung am Thalia Theater, die mich zugegeben mehr Kraft gekostet hat, als alle anderen Texte und nur mit einem gewissen Widerwillen entstanden ist.
Kurz und knapp zum Inhalt, den Meisten dürfte es eh bekannt sein: Oskar Matzerath erzählt die Geschichte seiner Familie und seines Jahrhunderts. Als „hellhöriger Säugling“ verfügt er über uneingeschränkte Erinnerungen und beendet an seinem dritten Geburtstag sein Wachstum. Das scheinbar harmlose Kind lebt als verkannter Außenseiter unter den Erwachsenen und ist Zeuge der historischen Ereignisse seit den 1920er Jahren in Danzig und Deutschland, der privaten und politischen Bigotterie seiner Elterngeneration. Er berichtet von Ehebruch und Pädophilie, von Naziparaden und Pogromnacht, vom Gefecht um die polnische Post in Danzig und vom Beginn der Adenauer-Ära. Grass zeichnet ein Sittenbild einer Gesellschaft, in der der Einzelne die Auswirkungen seines Handelns nicht überblickt, aber individuelle Schuld auf sich lädt.
Das Bühnenbild besteht aus mehreren Reihen beweglicher Wäscheleinen, behangen mit weißen Kleidungstücken. Die Seile und die Wäschestücke bieten den Schauspielern viel Raum zur darstellerischen Nutzung. Sie können sich hinter der Wäsche verstecken, in den Seilen hängen lassen oder schmeißen sich mit voller Wucht rein, um mit genauso viel Kraft wieder zurückkatapultiert zu werden. Die Wäsche wird im zweiten Teil der Inszenierung auch als Projektionsfläche für die Texte von Günther Grass, die parallel zum Gesprochenen wie ein Ausrufezeichen in den Theaterraum geflutet werden.
Der große inszenatorische Clou für mich ist die Besetzung eines doppelten Alfreds. Auf der Bühne wird der Protagonist gespielt von der 70-Jährigen Grande Dame des Thalia Theaters, Barbara Nüsse. Aus dem Off übernimmt immer wieder eine Jungenstimme die Rolle des Erzählers (sehr gut gesprochen von David Hafner). Dadurch wird die Distanz, die man als Zuschauer ohnehin schon zu Oskar Matzerath hat, noch verstärkt. Zur Leistung von Barbara Nüsse: Ich bin ziemlich sicher, dass sie die Rolle grandios spielt. Immerhin hat sie es geschafft, dass ich der Rolle die gleiche Antipathie und Abscheu entgegen gebracht habe, wie dem Darsteller im Film. Wenn sie zu ihren heiser-erstickten Schreien ansetzt, will man am liebsten nur noch raus aus dem Saal! Ihr Oskar Mazerath erweckt keinerlei Sympathien und zeigt doch eine gewisse Verletzlichkeit, die einen auf einem großen Umweg irgendwie rührt. Catherine Seifert übernimmt mit Agnes Matzerath und Maria Truczinksi eine Doppelrolle. Besonders als Oskars Mutter fand ich sie grandios. Sie bringt die flatterhafte, etwas naive und gegenüber ihrem Sohn egoistische Frau glaubwürdig rüber. Auch Gabriela Maria Schmeide glänzt in drei Rollen z.B. als Lehrerin Fräulein Spollenhauer und hat fantastische Momente auf der Bühne.
Ich habe mir nun etwas länger mit dem Verfassen dieses Textes Zeit gelassen und bin froh darüber. Ich konnte mich dadurch im Nachhinein nochmal etwas intensiver mit dem Stoff beschäftigen. Das Thalia Theater hat vom Probenprozess übrigens eine DVD inklusive Interview mit Luk Perceval und auch mit Günther Grass produziert, welche dem Programm beiliegt. Schaut euch diese DVD wenn möglich an. Hier beschreibt der Regisseur, dass auch er zunächst sehr mit dem Stoff gehadert hat. Es gibt noch einiges in „Die Blechtrommel“ zu entdecken und auch ich bin noch nicht damit durch. Vielleicht werde ich mir das Stück sogar noch einmal anschauen. Mal sehen…
Wenn Ihr neugierig seid: Die nächste Vorstellung läuft am Dienstag, 14. April und auch im Mai stehen mehrere Vorstellungen auf dem Spielplan.
Bis bald auf der buehhne!